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Finanzen

Demografischer Wandel bietet viele Chancen

Zahl der Senioren im Großraum Stuttgart wächst – Unternehmen nutzen Erfahrungen von Ruheständlern – Ältere Kunden für Wirtschaft immer interessanter

Demografischer Wandel bietet viele Chancen

Jüngere Kollegen profitieren vom Erfahrungsschatz der älteren Mitarbeiter: Immer mehr Unternehmen im Südwesten holen ältere Beschäftigte aus dem Ruhestand zurück. Foto: Jörn Buchheim/stock.adobe.com

Die demografische Entwicklung stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Die Zahl der Senioren über 65 im Großraum Stuttgart ist laut Statistischem Landesamt von 186 400 im Jahr 1961 im vergangenen Jahr auf 568 000 gestiegen – bei derzeit 2,8 Millionen Einwohnern. Vor allem der Anteil der über 79-Jährigen nimmt demnach stark zu.„Grundsätzlich lässt sich sagen, dass der demografische Wandel das Land – und damit auch seine Regionen – in den kommenden Jahrzehnten drastisch verändern und erhebliche Herausforderungen in vielen Lebensbereichen mit sich bringen wird“, heißt es dazu im Wirtschaftsministerium des Landes. Digitalisierung und technologische Transformation bedeuteten einen tief greifenden Wandel, die Anforderungen an die Qualifikation der Beschäftigten änderten sich, und der Fachkräftemangel spitze sich zu. Es böten sich aber auch Chancen.

Aus Sicht des Wirtschaftsministeriums wird der demografische Wandel eine wachsende Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen mit sich bringen „und eine Vielzahl von Chancen und Geschäftsfeldern eröffnen“. Da eine wachsende Zahl älterer Menschen möglichst im häuslichen Umfeld bleiben möchte, würden Unterstützungsund Assistenzsysteme, die das Wohnen zu Hause erleichtern, ebenso verstärkt nachgefragt wie die elektronische Betreuung, Überwachung und Kommunikation.

Wachsende Zahl an Beschäftigten in der Gesundheitsbranche

Davon könne die baden-württembergische Gesundheitsindustrie mit ihren Bereichen Medizintechnik, Pharmaindustrie und medizinische Biotechnologie profitieren. Die Bruttowertschöpfung der industriellen Gesundheitswirtschaft im Land (inklusive Vertrieb und Großhandel) ist nach Angaben der Staatsregierung zwischen 2010 und 2019 um jährlich durchschnittlich 3,8 Prozent auf 18,2 Milliarden Euro gewachsen. Die Zahl der Beschäftigten in der gesamten Gesundheitsbranche ist in Baden-Württemberg seit 2010 um 125 000 auf etwa 796 600 gestiegen. Dazu gehören Beschäftigte in Krankenhäusern und Reha-Einrichtungen, Mitarbeiter in Alten- und Pflegeheimen, freiberufliche Ärzte und Arzthelfer, Angestellte bei Krankenkassen, in Pharmaunternehmen, im produzierenden Gewerbe oder im Handel.

Nachfrage nach Hilfsmitteln wie Hörgeräten und Rollatoren steigt

Der Markt für Hilfs- und Heilmittel wie Einlagen, Hörgeräte, Bandagen, Rollatoren, Rollstühlen oder Kompressionsstrümpfen lebt ebenso von der wachsenden Zahl der Senioren. Nach Angaben des Verbands der Ersatzkassen (VDEK) wandten die gesetzlichen Kassen 2020 etwa 18,2 Milliarden Euro dafür auf. Dazu kommt der riesige freie Markt mit Produkten, die Käufer aus eigener Tasche bezahlen.

Senioren sind heute viel länger fit als früher. Auch als Gründer spielen sie eine immer wichtigere Rolle. Nach einer Studie des RKW-Kompetenzzentrums in Eschborn sollte die Alterung der deutschen Bevölkerung „anstatt als Bedrohung als Chance für das Gründungsgeschehen angesehen werden“.

Sieben Prozent der 65 bis 74-Jährigen sind noch erwerbstätig. Viele von ihnen verfügen über einen großen Wissensschatz, den sie weitergeben können. Unternehmen nutzen diese Potenzial. Bei Mercedes-Benz etwa „unterstützen ‚Senior Experts’, das sind ehemalige Beschäftigte im Ruhestand, temporär und auf arbeitsvertraglicher Basis Fachbereiche im Unternehmen mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten“, so eine Sprecherin. Seit Projektbeginn 2013 seien mehr als tausend Experts-Einsätze realisiert worden.

Die 1999 mit 30 ehemaligen Bosch Mitarbeitern gegründete Bosch Management Support GmbH (BMS) zählt heute rund 2300 Seniorexperten weltweit. Die Experten kämen überall dort zum Einsatz, wo kurzfristig professionelle Unterstützung gefragt, Kapazitätsengpässe abzudecken seien oder spezielles Know-how benötigt werde, so eine Sprecherin. Das könne beim Anlauf von Fertigungslinien im Ausland, bei der Produktentwicklung, der Qualitätssicherung in einem Werk oder vielen anderen Einsatzzwecken der Fall sein. Die BMS-Experten zwischen 60 und 75 arbeiteten zeitlich befristet „und zu einem Honorar, das sich an ihren früheren Gehältern orientiert“.

Prognos-Studie zu Chancen für die Baubranche

Die Werbung spricht ältere Kunden immer gezielter an – auch mit hochbetagten Models. Sie sind für die Wirtschaft auch deshalb interessant, weil sie häufig höherwertige Produkte anschaffen. Ein besonderes Interesse vieler Älterer gilt dem Reisen. Sie erfüllen sich nun den Wunsch nach Fernreisen. Auch die 55 Heilbäder und Kurorte im Land, darunter Stuttgart, haben die Senioren im Visier: Nicht nur mit Gesundheitsangeboten wie der klassischen Rehabilitation oder Kur, sondern auch mit Wellness- sowie Freizeit- und Sportangeboten.

Für die Baubranche ergeben sich Chancen. Laut der Prognos-Studie „Wohnraumbedarf in Baden-Württemberg“ von 2017 besteht bis 2040 allein ein Bedarf an 486 000 barrierefreien Wohnungen in Baden-Württemberg. Die altersgerechte Bestandssanierung und neue altersgerechte Wohnmodelle wie Clusterwohnungen oder Wohngemeinschaften dürften ebenfalls stärker gefragt sein, heißt es im Wirtschaftsministerium.

Den vielen Chancen steht ein Mangel an qualifizierten Fachkräften gegenüber. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz, Robotern oder Assistenzsystemen kann Beschäftigte, etwa in Pflegeberufen, zumindest von zeitraubenden Routinetätigkeiten entlasten. Die Landesregierung fördert entsprechende Maßnahmen. Gerhard Bläske

Studien zum Arbeitsmarkt

IAB-Forum

Das Online-Portal IAB-Forum beschäftigt sich mit dem Wandel des Arbeitsmarkts, den Auswirkungen der demografischen Entwicklung oder der sich rasch wandelnden Arbeitswelt vor dem Hintergrund der umfassenden Digitalisierung.

Demografie und Arbeitswelt

So wird auch festgestellt, das als Folge des demografischen Wandels ein deutlicher Mangel an Fachkräften zu erwarten sei. Die Zahl der Personen im erwerbsfähigen Alter nimmt demnach bis 2035 infolge der Demografie deutlich ab. Ausführliche Daten dazu stehen auf dem Online-Portal bereit.

Infos: www.iab-forum.de

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