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Hanf und Fischernetze: So wird die Autoproduktion nachhaltiger

Um Autos umweltverträglicher zu bauen, setzen Hersteller auch recycelte Materialien ein. Eine Herausforderung dabei: die gewohnten Qualitätsstandards.

Hanf und Fischernetze: So wird die Autoproduktion nachhaltiger

Pilze und vegane Seide: Große Bandbreite der nachhaltigen Werkstoffe im Interieur der Mercedes-Benz-Studie Vision EQXX. Foto: dpa-tmn

Ananasfasern für die Sitze, Kapok-Nüsse im Stoff und Fußmatten mit alten Fischernetzen: Autohersteller kommen auf immer neue Ideen, um die Produktion von Autos nicht nur unter wirtschaftlichen, sondern auch unter Aspekten des Umweltschutzes nachhaltiger zu machen. Doch mit dem ökologischen Bewusstsein, das auch die Kfz-Branche für sich entdeckt hat, werden die Dinge nicht immer einfacher. Nicht nur ist es eine Herausforderung, mit zum Beispiel recycelten Materialien gewohnte Qualitätsstandards zu halten - was die Produktion aufwendiger macht. Auch die neuen Öko-Stoffe zu gewinnen, ist komplex. Beispiel Fischernetze. Bis diese in Fußmatten verarbeitet im Auto liegen, durchlaufen sie einen langen Prozess.

Geisternetzen auf der Spur

Derk Remmers, Berufstaucher, geht mit Gleichgesinnten mehrmals im Jahr für die Non-Profit-Organisation Ghost Diving auf die Suche nach Geisternetzen - verloren gegangenen, herumtreibenden, irgendwo verhedderten Fischernetzen. ,,Ich will etwas gegen die Meeresverschmutzung tun. Außerdem gefällt mir der Ansatz der Weiterverarbeitung." Zu den Rohstoffen zählen Netze ebenso wie Teppichreste oder Verschnitte der Mode industrie. Am Ende der Produktionskette entsteht das neue, regenerierte Nylon Econyl, das auf großen Rollen an Zulieferer geht – und später zu Fußmatten für den Hyundai Ioniq 5 und Autos anderer Marken verarbeitet wird. Die CO₂-Emissionen bei Aquafil fallen um rund 80 Prozent geringer aus als bei der herkömmlichen Produktion von Nylon auf Erdölbasis. Die Autohersteller und deren Zulieferer nehmen das spezielle Nylongarn gerne ab. Roberto Rossetti, bei BMW verantwortlich unter anderem für die Kalkulation und Sekundärrohstoffquote, sieht Vorteile von nachhaltigen Werkstoffen und Recyclaten im Fahrzeugbau.

Neben der CO₂-Einsparung zählten dazu Festigkeit, Gewichtsreduzierung und Nachhaltigkeit. ,,Um einen möglichst hohen Anteil von Sekundärwerkstoffen zu verwenden, ist es wichtig, sie bei der Entwicklung des Fahrzeugs frühzeitig zu integrieren", sagt Rossetti. Derzeit setzt BMW pro Fahrzeug eigenen Angaben zufolge etwa 30 Prozent recycelte Materialien ein, das Ziel sind 50 Prozent. Mit Sekundärmaterialien will BMW den CO₂-Abdruck seiner Fahrzeuge weiter reduzieren - um 75 bis über 80 Prozent bei Aluminium, um 50 bis 80 Prozent bei Stahl und um 50 bis 80 Prozent bei Thermoplasten. Thermoplast aus 100 Prozent recyceltem Material wird heute schon dort eingesetzt, wo es der Kunde nicht sieht, wie in der Unterstruktur der Türverkleidung.

Flachsfasern in der Mittelkonsole

Beim inzwischen eingestellten i3 integrierte BMW ab 2013 Flachsfasern für die Türverkleidungen und Teile der Mittelkonsole. Der neue BMW iX erhält nach dem Umweltstandard FSC zertifiziertes Holz und natürliche Wollfaser. Auch bei Volkswagen werden neben CO₂-ärmerem Stahl neue Materialien verwendet, darunter Flachs, Hanf, Kenaf, Zellulose, Baumwolle und Hölzer. Bei ID.Buzz und ID.Buzz Cargo kommen statt Leder Polyurethan-Recyclate zum Zuge.

Für die Sitzoberflächen und Türverkleidungen verwendet VW einen Mix aus recycelten PET-Flaschen und geschredderten T-Shirts. Mazda setzt indes beim MX-30 im Innenraum Kork ein. Der Zulieferer Faurecia zeigte 2021 auf der IAA in München ein Cockpit aus Hanffasern, einem speziellen Biofaser-Verbundwerkstoff und auf fossilfreiem Stahl, bei dessen Produktion keine CO₂-Emissionen mehr anfallen sollen. BMW präsentierte dort eine Studie, die zu 100 Prozent recycelbar ist, behauptet der Hersteller.

Mercedes will innerhalb der nächsten zehn Jahre den Anteil von Recyclaten in den Fahrzeugen auf durchschnittlich 40 Prozent erhöhen. Beim EQS und EQE kommen bereits Kabelkanäle aus recycelten Haushaltsabfällen zum Einsatz. Im Innenraum bietet Mercedes unter anderem Polsterstoffe aus recycelten PET-Flaschen. Teppiche bestehen wie bei Hyundai, BMW und VW aus recycelbaren Materialien wie alten Teppichen und Fischernetzen.

Hohe Anforderungen an die Qualität

Für die Lederalternative der Studie Vision EQXX verwendete Mercedes pulverisierte Kaktusfaser und Pilzmyzel, die unterirdische wurzelartige Struktur von Pilzen. Markus Schäfer, Vorstand für Entwicklung und Einkauf von Mercedes-Benz, erläutert, welche Herausforderung neue Verfahren mit sich bringen. Der Fahrzeuginnenraum sei ein wichtiger Bestandteil des Markenerlebnisses. Die Materialien müssten unter anderem Temperaturunterschieden von rund 100 Grad standhalten, ohne instabil zu werden oder sich zu verfärben.

Je nach Bauteil sei das Recycling aber aufwendig und teuer, außerdem seien die Sekundärstoffe nicht immer verfügbar. Ein weiteres Problem: Nicht alle Werkstoffe, die nachhaltig sind, empfinden Insassen auch als schön. Alle Bauteile müssen bei Qualität, Sicherheit und Zuverlässigkeit den gleichen hohen Anforderungen entsprechen, ganz gleich, ob aus Primär- oder Sekundärquelle.

Langfristig führt der Weg zur Nachhaltigkeit vor allem über die Kreislaufwirtschaft, in der Abfälle reduziert werden und das Wiederverwerten groß geschrieben wird. Je weniger Mischmaterial sich im Fahrzeug befindet, desto leichter lassen sich Materialien mehrfach wiederverwenden. Aus Sicht des VW-Konzerns der nachhaltigste Weg, ein Automobil zu produzieren. Fabian Hoberg, dpa

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